Von Mestia nach Ushguli
Die stabile Wetterlage für die nächsten Tage ist optimal für eine Weitwanderung. Wir wollen die berühmteste Weitwanderung von Mestia bis Ushguli in drei Tagen gehen. Die meisten Menschen machen sie in vier Tagen, aber wir sind uns unserer Kondition sicher. Später werden wir herausfinden, warum die vier Tage eine gute Idee sind. Wir haben unseren Bus am Stadtrand von Mestia geparkt, wo wir auf weitere Reisende gestoßen sind und der Bus in sichern Händen ist. Wir starten hoch motiviert am späten Nachmittag mit Zelt, Schlafsack und Proviant, die erste Etappe sollte in einem halben Tag machbar sein und zur Not haben wir ja unsere Stirnlampen. Die ersten Meter verlaufen steil bergauf und die Temperaturen sind noch sehr heiß. Bei der ersten Lichtung werden wir durch eine traumhafte Aussicht belohnt. Es geht weiter steil bergauf und wir überqueren immer wieder kleine Bäche.
Die provisorischen Brücken sind schon sehr abenteuerlich, aber nichts dagegen, was uns am nächsten Tag erwarten sollte.
Bei Sonnenuntergang erreichen wir eine Scharte, welche uns in das nächste Tal blicken lässt und in weiter Ferne sehen wir unser Tagesziel. Die Sonne geht unter und wir wandern im dunklen mit Stirnlampen an der Straße entlang weiter.
Wir erreichen den Ort Zhabeshi und kaufen uns zur Sicherheit noch eine Flasche Wasser. Am Ende des Ortes stürmt plötzlich ein Hund von einem Haus auf uns zu und versucht durch aggressives Zähnezeigen und Knurren, das Grundstück zu verteidigen. Der Hund versteht dabei nicht, dass der Wanderweg einfach sehr nahe am Grundstück vorbeiführt. Mit Steinen bewaffnet, gehen wir langsam rückwärts aus dem Zuständigkeitsbereich des Haushundes. Der Hund gibt uns unmissverständlich zu verstehen, dass er sein Revier mit allen Mitteln verteidigen würde, wir aber auch, dass wir nicht gebissen werden wollen. Ein Kampf, der zum Glück für beide Seiten nicht ausgetragen werden muss, denn wir sind schon an der Kirche vorbei und gehen, immer noch mit riesigen Steinen in den Händen den Hang hinauf. Wegen des aggressiven Hundes entscheiden wir, erst das übernächste Camp zu nehmen und wandern weitere 200hm in völliger Dunkelheit. Die Orientierung im Dunkeln fällt nicht so einfach, da zusätzlich unzählige Tierpfade nach oben führen. Wir erreichen spät am Abend unser Camp und platzieren unser Zelt am schiefen Hang neben dem Bach. Während Vanessa das Essen zubereitet sucht René Holz für ein Lagerfeuer. Wir genießen die Stimmung bei Lagerfeuer, gutem Essen und einer geteilten Dose Bier und gehen danach spät ins Bett.
In der Früh sehen wir bereits die ersten Wanderer bei uns vorbeimarschieren und wir machen uns nach einem heißem Tee auch auf den Weg. Schließlich wollen wir heute die Etappen zwei und drei wandern, welche die meisten Kilometer und Höhenmeter beinhalten. Nach einigen Höhenmetern erreichen wir ein Skigebiet mit wunderschönem Ausblick auf den Tetnuldi und weitere hohe Berge. Weit oben, wo längst keine Straßen mehr sind, erblicken wir plötzlich einen kleinen Imbissstand, neben dem ein Auto parkt. Georgische Autofahrer*innen nehmen jeden Weg, der nur annähernd fahrbar aussieht. Wir gönnen uns einen kleinen Frühstückssnack und wandern weiter. Die Temperaturen sind sehr warm und wir freuen uns immer wieder über schattige Passagen im Wald. Wir erreichen das nächste Tal und sehen vor uns bereits das Bergdorf Hadiishi mit seinen urigen Häusern und uralten Wehrtürmen.
Das Dorf kommt noch ohne einer betonierten, befestigten Zufahrtsstraße aus, was ja für die Menschen und Autos hier nicht so ein großes Problem darstellt. Das Pferd ist auch ein beliebtes Transportmittel. Wir erkunden den Ort und machen eine Mittagspause bei einem kleinen Imbiss, Etappe zwei haben wir geschafft.
Während wir essen stößt ein deutscher Wanderer zu uns und verbringt mit uns die Mittagspause. Carsten erzählt uns, dass er heute gerne noch über den Pass wandern und im nächsten Tal übernachten will. Wir haben das gleiche Ziel und wandern zu Dritt weiter. Vom Ort aus geht es das Tal hinauf Richtung Gletscherzunge. Der Gletscher sieht verhältnismäßig zu denen, die wir bis jetzt gesehen haben, noch sehr mächtig und beeindruckend aus. Am Gletscherfluss stehen Pferde, welche zur Überquerung der Strömung bezahlt werden können. Wir entscheiden uns, den Fluss ohne Pferde zu überqueren. Es ist bereits Nachmittag und die warmen Temperaturen und die Sonneneinstrahlung auf den Gletscher haben den Fluss stark ansteigen lassen.
Das ist der Grund, warum man diese Etappe in der Früh starten sollte, da ist der Fluss für die meisten Menschen gut überquerbar. Wir werfen sicherheitshalber unsere Rucksäcke auf die andere Seite, damit sie uns nicht runterdrücken können. Eine Passage ist etwas heikler, das Wasser ist so stark, dass eine Person allein den Fluten nicht standhalten könnte.
Carsten erreicht durch einen Sprung Richtung Ufer als erster, komplett durchnässt, das andere Ufer. René hat es barfuß probiert, ist durch eine kurze Schwimmeinlage aber auch bis oben hin nass. Vanessa bekommt gar nicht die Möglichkeit, die stärkste Stelle zu durchqueren, weil sie von den beiden Männern schon ans Ufer gezogen wird.
Wir wärmen unsere abgefrorenen Füße in der Sonne am Ufer. Die nasse Hose ist bei den warmen Temperaturen gar nicht mal so schlecht. Zwei weitere Wanderer hinter uns passieren den Fluss nicht und noch zwei weitere Wanderer auf unsere Seite des Flusses erzählen uns, dass eine Person mitgerissen wurde und zum Glück von einer 3er Menschenkette aus dem Wasser gezogen wurde.
Wir sind froh, den Fluss heil überquert zu haben und machen uns auf den Weg nach oben zum Pass und somit der höchsten Stelle bei dieser Wanderung.
Wir erreichen den Pass Chkhutniery auf 2722m und ziehen wegen des starken Windes schnell weiter. Im nächsten Tal angekommen, schlagen wir bei Sonnenuntergang unsere Lager neben einem anderen Gletscherfluss auf. Wir suchen wieder Holz und genießen das Essen und die Wärme des Feuers. In der Früh sind wir überwältigt von der Kulisse unseres Schlafplatzes. Wir trinken zwei Tassen Tee und wandern aus dem Tal Richtung Iphrari.
Die gestrige Etappe macht sich in unseren Beinen bemerkbar und wir marschieren nicht mehr so locker wie zu Beginn. Im nächsten Ort angekommen gönnen wir uns ein Bier und Khachapuri bevor, der finale Teil der Wanderung auf uns wartet. Es sind noch ca. 10km und einige Höhenmeter bis Ushguli. Gestärkt starten wir los und nach einigen Metern marschieren auch die müden Beine wieder etwas besser. Wir machen Meter um Meter, berauf und bergab, durch lichte Wälder und über grüne Wiesen. Die letzten zwei Kilometer wandern wir auf der im Bau befindlichen Straße mit Blick auf Ushguli. Es ist heiß und wir werden von den vorbeifahrenden Autos eingestaubt. Am Weg passieren uns vier Cheeps aus Kuwait, welchen wir freundlich zuwinken, während einer ein Video aus dem Auto dreht. Wenig später fahren die Cheeps wieder an uns vorbei und einer reicht uns zwei kühle Getränke aus dem Auto. Die Getränke kommen genau zur richtigen Zeit und so schaffen wir die letzten Meter nach Ushguli.
Wir erreichen den Ort früher als gedacht, machen Fotos und stehen ein wenig ratlos im kleinen Ort voller Tourist*innen herum. Nach den abenteuerlichen und vor allem anstrengenden drei Tagen, mit mehr als 55 zurückgelegten Kilometern und 3000 Höhenmetern, wollen wir nicht noch eine Nacht am Boden schlafen und so schnell wie möglich wieder nach Mestia zurück. Aber Taxis sind für uns hier unleistbar, also wollen wir Autostoppen, was dann doch fast zu schnell funktioniert. Zwei Touristinnen aus Polen nehmen uns in ihrem Mietwagen mit und wir genießen die lange aber schöne Fahrt über die holprige Straße zurück zu Elke.
Mazeri
Wir fahren ins nächste Tal, in den Ort Mazeri, welcher auch Ausgangpunkt für Ushbabesteigungen ist. Der Parkplatz ist ungalublich schön, um uns grasen Pferde und wir sind von einer malerischen Bergszenerie umgeben.
Weiter hinten im Tal gibt es Wasserfälle, welche von den obenliegenden Gletschern gespeist werden. Von hier aus kann man in einem halben Tag nach Russland wandern, die beschneiten Bergspitzen lachen in der Sonne herüber. Die Abendsonne lässt einen Regenbogen in den großen Shdugra-Wasserfall zaubern. Die nächsten zwei Tage sollen die letzten schönen vor einer langen Regenphase sein.
Am nächsten Tag wandern wir in ein anderes Tal und erreichen nach einigen Höhenmetern ein verlassenes Bergdorf. Es dürfte noch vor wenigen Jahren als Alm genutzt worden sein, aber die dicken Holzwände haben gegen die zährenden Jahreszeiten aufgegeben.
Der weitere Weg ist nicht markiert und wir wandern etwas abenteuerlich querfeldein, mit Blick auf den beeindruckenden Ushba zu unserm nächsten Ziel, der verlassen Guli Kirche.
Wenig später erreichen wir das verlassene Guli Dorf. Die Steinwände der Häuser sind wesentlich älter, aus dem 10. Jahrhundert, aber man kann sich das Leben in diesen zweistöckigen Häusern noch sehr gut vorstellen.
Bei gutem Wetter wandern wir zurück zum Ausgangspunkt und verlassen am nächsten Tag die Region Swanetien.
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