Unser erster 6000er im indischen Himalaya
- Vanessa & René
- 3. März
- 13 Min. Lesezeit
Noch einmal nach Rishikesh
Zeit alleine
Nachdem wir aus unserem „Urlaub“ in Südost-Asien vom Reisen mit dem Van zurückgekommen sind, trennen sich in Indien unsere Wege erstmal für zwei Wochen. So richtig ist es für uns noch nicht an der Zeit, wieder voll in das Van-Leben einzusteigen, wir brauchen Zeit alleine bzw. mal ohne einander. Vanessa will in Rishikesh noch zwei Ausbildungen machen und René lieber mit Freunden in Delhi klettern. Also trennen wir uns am Busbahnhof in Delhi, wo Vanessa in einen Flixbus Richtung Yogahauptstadt steigt. Der Abschied ist kurz aber schmerzvoll, doch die getrennte Zeit wird uns guttun.
Während Vanessa neue Freundinnenschaften bei einer Yin-Yoga-Ausbildung schließt und in einem Ashram (wie ein Tempel, der Ort, wo geschlafen, gelernt, gegessen und yogiert wird) wohnt, klettert René in den Kletter- und Boulderhallen von Indiens Megametropole Delhi. Auch am Bus muss die ein oder andere Wartungsarbeit erledigt werden, denn für den Norden von Indien muss alles fit sein. In Indiens Hauptstadt herrscht sehr schlechte Luftqualität und Renés Lungen werden immer angeschlagener, von den Ohren wegen dem Lärm gar nicht zu sprechen! In Delhi ist es noch drückend heiß, während in Rishikesh der tägliche Regen und das kühle Wasser des Ganges die Temperaturen erträglicher machen. Zum Glück absolviert Vanessa gerade eine Ayurveda-Ausbildung und braucht für die Ölmassagen ein Versuchskaninchen. René steigt also nach zwei Wochen Großstadthölle auch in den komfortablen Flixbus und kommt im langsamen Rishikesh an. Es ist schön, wieder zusammen zu sein, obwohl uns die Zeit ohne einander auch sehr gutgetan hat.
Politische Ansichten einiger Inder*innen
In Rishikesh wird uns der indische Nationalsozialismus, welcher in der Politik verfolgt wird, so richtig bewusst. Von Chai-Kochern bis aufgeschlossenen Kletterfreund*innen, selbst die durchaus gut gebildeten Yoga-Professoren schrecken zusammen, wenn wir ihnen erzählen, dass wir wieder nach Pakistan fahren. Ganz schockiert warnen sie uns, dass es dort sehr gefährlich ist, die Menschen böse sind und es generell kein Ort ist, wo irgendjemand hinwollen würde. Wenn wir damit kontern, dass wir schon dort gewesen sind und wirklich nichts so ist, wie sie es in der Schule eingetrichtert bekommen haben, ist in ihren Gesichtern nur Unglaube zu erkennen. In den Köpfen vieler Inder*innen ist Indien, die gute Seite, von ihrem bösen Schatten Pakistan getrennt worden, Muslim*innen werden für viele Grausamkeiten im Land verantwortlich gemacht. Hier vermischt sich rechtsextremistische Propaganda stark mit einem wachsenden Analphabeten-Volk, das kein Gefühl für Zeit und Geschichte haben kann. Allerdings ist das Bild von Pakistan weltweit auch eher gemischt, wenn nicht sogar negativ. Umgekehrt existiert das falsche Bild der „besseren“ Weißen in den Köpfen der Menschen. Wir genießen oft Sonderstellung und erfahren besondere, positivere Aufmerksamkeit und Privilegien, was natürlich auch ökonomische Gründe hat, aber ziemlich unangenehm sein kann. Indien ist tatsächlich ein Land, in dem die Zeit anders läuft als anderswo.
Raus aus Delhis Großstadthölle
Vollkommen erholt und relaxt verlassen wir Rishikesh wieder und fahren mit dem öffentlichen Bus zu unserem kleinen rollenden Zuhause. Renés Kletterfreund*innen haben in Delhi inzwischen darauf aufgepasst. Die erste gemeinsame Nacht in unseren Van inmitten von Delhi war die Hölle. Gefühlt hat es kein Grad abgekühlt und der Lärm ist unerträglich. Wir kaufen noch alle Lebensmittel bei einem großen Supermarkt ein und verlassen Delhi mit gutem Gewissen hoffentlich für immer. Wir haben hier (auch wegen unseres Motorschadens) wirklich viel Zeit verbracht, kennen viele schöne Ecken und haben auch sehr viele nicht so schöne gesehen. Am Weg raus aus der Stadt zeigt sich das Wetter nochmal von seiner schlechtesten Seite. Es regnet aus Kübeln und die Straße ist zu einem langsamen braunen Fluss geworden. Ab und zu schwimmt Müll vorbei und die nassen Kühe kauen genüsslich die weggeworfenen Maiskolben, die normalerweise an jeder Straßenecke angebraten werden.
Auf geht’s Richtung Norden von Indien
Stopover in Chandigarh
Es ist mittlerweile September und das Wetter für die Berge beginnt gerade, perfekt zu werden. Wir machen einen Stopp in Chandigarh, einer untypischen Stadt für Indien. Die Planstadt wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von einem schweizerisch-französischen Architekten im Rasterstil entworfen. Die Straßen sind sauber und leer. Es scheint genug Platz für alle zu geben. Wir campen in der Nähe von einem Vogelschutzzoo, ein ruhiger Parkplatz umgeben von viel Natur. Am Abend bekommen wir Besuch von neugierigen aber sehr freundlichen jungen Einheimischen. Chandigarh befindet sich im Bundesstaat Punjab, wo die meisten Menschen der Religion der Sikh angehören. Diese Religion zeichnet aus, dass ihre Angehörigen Frauen gleichbehandeln und Bildung wichtig finden. In Punjab haben wir uns in Indien bisher am wohlsten gefühlt. Die jungen Sikh beschenken uns mit Äpfeln und wünschen uns eine gute Nacht.
Mitten in der Nacht wachen wir auf, weil jemand versucht, alle Türen unseres Vans zu öffnen. Als wir begreifen, was passiert und mit einer Taschenlampe rausleuchten, fährt das Auto mit den Männern wieder weg. Wir hatten diese Erfahrung schon öfter in Indien und versichern uns vor dem Schlafengehen immer doppelt, ob wir alle Türen abgeschlossen haben. Was passieren würde, wenn eine Tür unverschlossen wäre, wissen wir nicht. Wir wollen es nicht drauf ankommen lassen. So unwohl beim Campen wie in Indien haben wir uns noch nirgends gefühlt.
Am nächsten Morgen werden wir von begeisterten Youtubern aus dem Bus geklopft. Das ortsansässige Pärchen findet die Idee, in einem Bus zu wohnen sehr interessant. Wir beantworten ruhig alle Fragen und lassen unsere Einrichtung filmen. Sie fragen uns, warum wir uns für das schwere Leben entschieden haben, ohne Warmwasser, Dusche und Schutz zu wohnen. Wir denken nicht, dass wir ein schweres Leben haben, aber es geht natürlich immer komfortabler. Als wir ihnen erzählen, was in der Nacht passiert ist, sagen sie nur, dass sie in Indien niemals campen würden, weil es zu gefährlich ist.
Akklimatisationstage
Am nächsten Tag geht es weiter steil hinauf Richtung Berge, bis wir am Abend bei einem Fluss im Bundesstaat Himchal Pradesch ankommen. Hier gibt es wieder kühlende Natur und fast einsame Stellplätze, so wie wir sie lieben. Wir haben viele Höhenmeter gemacht und spüren das schnelle Aufsteigen, obwohl wir uns nicht körperlich betätigt haben. Wir sollten es langsam angehen. Nach zwei Tagen Fahrt erreichen wir Manali. Von dort aus biegen wir auf eine abenteuerliche Straße ab, die uns nach Sethan, in unser erstes Klettergebiet im Norden Indiens bringt. Dort genießen wir einen tollen Stellplatz und die Natur.
In der ersten Nacht hören wir etwas rascheln. Sofort wissen wir, dass wir wieder einen tierischen Mitbewohner dabeihaben. Aus einer Plastikflasche bauen wir eine Lebendfalle mit einer leckeren Mandel darin. Und tatsächlich geht die kleine Maus schon nach kurzer Zeit in die Falle. Wir haben unabsichtlich eine kleine Stadtmaus aus Delhi mitgenommen, die wahrscheinlich aus Neugierde bei uns reingeschaut hat und dann 700km weit verschleppt wurde. Sie ist sehr hungrig, weil wir aus unserer Ratten-Erfahrung alles Essbare in gut verschlossenen Behältern aufbewahren. Leider kann die kleine Maus nicht bei uns wohnen, also setzen wir sie mit einer Hand voll Mandeln im Wald aus. Hoffentlich kommt sie durch in so unwirtlichen Bedingungen für eine Stadtmaus.
Wir sind von Nadelwäldern und saftig grünen Lichtungen umgeben. Die Bäume sind hier mehrere Hundert Jahre alt und definitiv die größten Exemplare, welche wir bis jetzt gesehen haben. An den kletterfreien Tagen unternehmen wir viele Wanderungen. Unter Tags ist es auch hier auf über 2700m noch sehr heiß, doch die Nächte sind angenehm kühl. Wir kommen hier so richtig an. Täglich in der Früh gehen wir in das Dorf zum Boulderhostel, wo es frische Aloo Parathas, mit Kartoffeln gefülltes Fladenbrot, und Chai gibt. Danach klettern wir mit unseren Freund*innen aus der Klettercommunity bei Delhi, die auch zufällig gerade hier sind, oder machen lange Wanderungen in die umliegenden Berge. Wir lassen uns Zeit mit dem Akklimatisieren, steigen bis über 4000m auf und schlafen gemütlich im Bus auf der Kuhweide. Das Leben ist schön!
"You are living the dream!"
Wir lieben diesen ersten guten Stellplatz im Norden von Indien, doch es könnte privater sein. Sethan ist bei indischen Tourist*innen sehr beliebt, da es mit dem Auto gut erreichbar ist und schon hochgebirgs-Flair bietet. Täglich fahren mehrere Touristenjeeps Richtung Hampta-Pass an unserem Van vorbei, von wo eine beliebte Mehrtageswanderung beginnt. Dabei ist unser Van fast automatisch zum Sightseeing-Zwischenziel geworden und sobald wir im Van entdeckt werden, müssen wir für Fotos und Videos herhalten. Meistens fragen die Menschen aber ganz lieb und sind so begeistert, dass wir kaum ablehnen können. Allein in dieser Woche sind wir auf einigen Youtube-Kanälen gelandet und unsere Anzahl and Followern auf Instagram ist rasant angestiegen. Wie oft wir in dieser Woche gehört haben, dass wir den absoluten Traum aller Inder*innen leben, können wir nicht mehr abzählen. Wir hätten uns nie gedacht, dass der Traum von einem Vanlife in Indiens (oberer Mittelschicht) Bevölkerung so erstrebenswert ist. Jedoch gibt es bei Menschen natürlich immer Ausreden, warum sie etwas nie machen könnten. Von „in Indien lässt sich kein so ein Kastenwagen finden, der zum Camper geeignet wäre“ bis „es gibt keine indischen Vorbilder, die ein Vanlife zeigen“ ist alles dabei. Beides natürlich absoluter Schwachsinn, selbst am Geld scheitert es bei den einheimischen Touris nicht, erzählen sie uns doch stolz von ihren Thailand- bis Kasachstan-Urlauben und sind mit großem Neuwagen inklusive Fahrer unterwegs (mehrere Hausangestellte zu haben, ist dank des Kastensystems in der indischen Mittelschicht normal). Ein junges Pärchen aus Mumbai treffen wir dort tatsächlich, das den Traum bereits lebt. Die beiden haben einen SUV ausgebaut, damit sie darin schlafen und bei offenem Kofferraum kochen können. Alles, was man braucht!

Nach einiger Zeit verlassen wir den Platz wieder und kaufen unten in Manali Vorräte für einige Wochen ein. In Manali ist es noch sehr heiß und wir wollen so schnell wie möglich höher in das Himalaya-Gebirge.
Von Wald zu Wüste
Als wir nach einem gruseligen, dunklen Tunnel auf der anderen Seite in eine Wüstenbergregion kommen, lichten sich auch die Autos und die Menschen.
Wir bleiben einige Tage auf ca. 3700m stehen, unternehmen Wanderungen und gewöhnen unsere Körper langsam an die Höhe. Weiter geht es dann am neu asphaltierten Manali-Leh Highway über einen 4900m hohen Pass, bis wir mit dem Van vor einem Dhaba, einem Imbisszelt, auf 4700m parken. Wahnsinn, so hoch sind wir mit unserem Auto noch nie gefahren! Wir holen uns einen Chai beim netten Dhaba-Besitzer. Er ist ein junger Mann, der aus dieser kargen Gegend hier stammt. Vor einigen Jahren befand sich hier ein Dorf aus mehreren Zelten, jedoch ist er der einzig verbliebene hier oben. Das Leben ist sehr rau und schwer auf so einer Höhe. Doch zum Glück gibt es ihn und sein großes Zelt noch. Porter (Gepäcksträger) und auch Wanderer nutzen die mit Teppich ausgelegten Böden, um zu schlafen und zu essen. Wir dürfen unser Auto neben dem Zelt parken, solange wir brauchen, bis wir unser Ziel bestiegen haben. Von hier aus geht nämlich die Wanderung zum Mount Yunam Summit Camp und schließlich zum 6111m hohen Yunam-Gipfel los. Wir schlafen einige Nächte hier auf 4700m, versuchen uns nur moderat zu bewegen und uns an die Höhe zu gewöhnen. Wenn man mit dem Auto so schnell bis so hoch fahren kann, ist es schwer, den Körper anzupassen. Hinter dem Zelt bleiben täglich Truck-Fahrer stehen, um zu erbrechen. Sie sind wahrscheinlich erst vorgestern in Mumbai auf Meereshöhe gestartet und ihr Körper ist absolut nicht bereit für die kalten und sauerstoffarmen 4700 Meter über dem Meer.
In der Nacht ist es eisig kalt und wir sind glücklich, endlich unseren neuen Mini-Holzofen verwenden zu können. Das Großartige am indischen Himalaya ist, dass das Berggebiet riesig ist und es somit weniger Beschränkungen beim Bergsteigen gibt. Die meisten Berge unter 7000m sind kostenlos und ohne verpflichtenden Guide ersteigbar. Perfekt für uns!
Auch hier hören wir in einer Nacht wieder verdächtige Geräusche, ein Löffel fällt nach unten und wir hören kleine Schritte. Die Sache ist schnell klar, wir haben wieder eine Maus bei uns, diesmal eine große, fette Bergmaus. Sie hat sich durch unsere neue Schaltabdeckung wie schon die Ratten in Nepal, gebissen, in der Hoffnung, bei uns etwas Essbares zu finden. Aber fette Mäuse können sich weniger leicht verstecken und in kurzer Zeit haben wir sie in einem Ofenrohr in der Falle. Auch sie tragen wir weit genug weg, den Winter überlebt sie auch ohne unseren Nussvorrat.
Mount Yunam 6111m Gipfelbesteigung
Schließlich packen wir unsere Rucksäcke mit Campingausrüstung, Gaskocher und Proviant und machen uns bei Sonnenschein auf den Weg zum ersten Camp auf 5300m. Dort gibt es viele flache Zeltplätze und eine Wasserquelle. Außer uns ist noch eine indische Gruppe im Camp, drei Wanderer und vier Porter. Auch hier ist es wie in Nepal ganz normal, sein Gepäck nicht selbst tragen zu müssen. Wir werden von der Gruppe zum Essen eingeladen. Es gibt Kartoffeln mit Reis. Die drei indischen Wanderer sind zu schnell von Mumbai hier heraufgefahren und sie haben Höhensymptome. Außerdem sind sie unzureichend ausgerüstet und es ist hier eisig kalt, weswegen sie früh in ihren Zelten verschwinden. Wir haben noch nette Gespräche mit den beiden nepalesischen Portern. Sie kommen nach Indien, wenn die Saison in Nepal schon wieder abflacht, wie jetzt Ende September. Hier in Indien ist das Gehalt für sie besser als in Nepal.
6000er im indischen Himalaya
Wir verbringen eine gute erste Nacht auf dieser Höhe. Noch nie zuvor haben wir auf über 5300m geschlafen. In der Früh haben wir Eis am Zelt, wir kriechen bei den ersten Sonnenstrahlen aus unseren warmen Schlafsäcken. Dann putzen wir unsere Zähne, essen ein paar Riegel und marschieren los. Die Gruppe ist schon um 3 Uhr früh gestartet, weil die Teilnehmer sehr langsam gehen.
Die Sonne hat selbst auf dieser Höhe eine enorme Kraft. Wir quälen uns den ersten steilen Schotterhang hoch, bis wir schon den leicht mit Schnee bedeckten Gipfel vor uns sehen. Vom Camp sind es nochmal über 800m zum Gipfel. Nach wenigen Stunden merken wir, wie die Luft immer dünner wird. Wir haben Probleme mit der Atmung, die Schritte fallen viel schwerer als sonst. Unsere Energie verschwindet enorm schnell. Immer wieder müssen wir Pausen machen, um Luft zu holen, Tee zu trinken und Zuckerhaltiges zu essen. Als wir nur noch etwa 300hm vor uns haben, kommen uns die Leute vom Camp entgegen. Jedoch sind es nur ein Teilnehmer mit zwei Portern. Die anderen Teilnehmer hatten zu starke Kopfschmerzen, um aufzusteigen. Wir wünschen uns gegenseitig Glück und machen uns auf den Schlussanstieg gefasst. Die meiste Zeit des Jahres ist dieser Teil des Berges von einem Schneefeld bedeckt, was Steigeisen benötigt. Jedoch war es diesen September so warm, dass fast der ganze Schnee geschmolzen ist.
Vor uns erstreckt sich ein Schotterfeld aus großen und kleinen Steinen. Wir kommen nur sehr langsam voran, machen zwei Schritte nach oben und einen wieder zurück. Das Gehen ist enorm mühsam. Nur knapp 50 Höhenmeter vor dem Gipfel müssen wir nochmal eine lange Pause machen. Dass dieser Berg so viel Kondition von uns erfordert, hätten wir nicht gedacht. Endlich schaffen wir es doch, uns den steinigen Hang hochzuschleppen und wir beide erreichen tatsächlich unseren ersten 6111m hohen Berg! Das aus eigener Kraft und ganz ohne fremde Hilfe!
Wir sind überwältigt von der fabelhaften Weitsicht, welche wir an diesem Tag haben. Die Sonne strahlt mit uns um die Wette und die wüstenartige Bergregion Ladakhs erstreckt sich in die eine, eine atemberaubende Sicht auf schneebedeckte 6000er, 7000er und 8000er in die andere Richtung. Nachdem wir die Stille und die Zeit zu zweit am Gipfel voll genossen haben, machen wir uns an den Abstieg. Hinunter geht es wegen dem langen Schotterfeld sehr schnell, wir erreichen das Camp schon nach knapp 2h wieder. Dort kochen wir eine wohlverdiente Fertigsuppe und packen unsere Ausrüstung in die Rucksäcke. Es ist Mittag und die Sonne brennt auf uns hinunter. In null komma nix sind wir schon wieder bei unserem Bus unten und fallen nach einem ausgiebigen Essen erschöpft aber glücklich in unser Bett.
Zurück nach Manali
Als wir unser Auto wieder anstarten wollen, stottert es. Wir sind uns schnell sicher, dass es nun die verbleibenden drei 40 Jahre alten Glühkerzen durchgebrannt haben muss. In Delhi wollten sie die drei noch nicht wechseln, da hier grundsätzlich nichts getauscht wird, was noch funktioniert. Unsere maximalen 180 Tage mit dem Auto in Indien gehen sowieso bald zu Ende, also machen wir uns wieder am Weg nach unten. Nach Leh, der Hauptstadt Ladakhs, sind es noch einige Kilometer und Höhenmeter. Es wäre schön, aber man soll sich auch noch was für das nächste Mal aufheben.
In wenigen Tagen erreichen wir wieder Manali, wo wir einige Tage verbringen. Manali ist ein lieber Bergort voller Tourist*innen aus Indien und aller Welt. Jetzt, fast ein Monat später ist es auch hier schon etwas kühler geworden und wir genießen die lokale Küche und die Einkaufsmöglichkeiten. Hier im Norden Indiens mischt sich indische, tibetische und nepalesische Kultur mit Hinduismus und Buddhismus. Man merkt am Essen, dass wir wieder sehr nahe an Tibet sind. Es gibt tibetische Thukpa (Gemüse-Nudelsuppe), gebratene Nudeln und Momos (gefüllte Teigtaschen). Der Großteil der mit dem Dalai Lama geflohenen Tibeter*innen wohnen hier im Norden von Indien. Der Dalai Lama, das tibetische Staatsoberhaupt selbst, wohnt nur ein paar Stunden entfernt, in Dharamshala. Die Menschen sind angenehm entspannt und zurückhaltend, wir fühlen uns wohl. Am Markt ersteigern wir einen neuen Schal für Vanessa, Räucherstäbchen und Gewürze. Das sollte unser letzter Einkaufsstopp in Indien werden. Vom Norden Indiens sind wir tatsächlich begeistert. Hierher können wir es uns vorstellen, nochmal zurückzukommen. Und dass wir Leh und das meiste vom Bundesstaat Ladakh nicht besuchen konnten, ist definitiv ein Grund, wieder hierher zu kommen. Auch zum Klettern gibt es noch einiges, was sich jetzt wettertechnisch nicht mehr ausgegangen ist. Der Norden Indiens sieht uns wieder!
Alles wieder nach unten
Im Schnelldurchlauf fahren wir alle Höhenmeter wieder nach unten. Mit jedem Meter macht sich die höhere Temperatur bemerkbar, bis es wieder unerträglich heiß ist. Kaum zu glauben, dass man in einem Tag so einen merkbaren Temperaturunterschied haben kann! Wir schwitzen wieder unerträglich. Zum Kochen ist es uns zu heiß und wir kehren täglich in kleinen Restaurants ein, wo wir das volle Spektrum an indischer Küche noch ein letztes Mal richtig auskosten. Alle guten Gerichte landen nochmal auf unseren Tellern, an die Schärfe haben wir uns schon gewöhnt. Mittlerweile haben wir doch fast 5 Monate in Indien verbracht. Wir reflektieren über einer riesigen Portion Reis mit Dal (Linsensuppe), dass sich in den Monaten nicht nur unsere Geschmacksnerven verändert haben, sondern wir selbst. Anstatt gegen unlogische Dinge anzukämpfen, nehmen wir alles mit viel größerer Leichtigkeit. Durch die vielen Eindrücke und Menschenmassen navigieren wir unseren Weg mit großer Entspanntheit. Die Hitze ist zwar da, aber wir versuchen jetzt nicht mehr, uns über Dinge aufzuregen, die wir nicht ändern können. Der Gestank, der Müll, die Menschen, die Armut, alles Dinge, die existieren. Wir beobachten, ohne zu urteilen. Indien hat uns verändert. Dafür sind wir sehr dankbar!
Ein letzter Abend in Amritsar
In Amritsar finden wir nach einem Tag Suche den einen Shop, welcher Bosch Glühkerzen, „made in India“, verkauft. Ein vertrauenswürdiger Mechaniker mit riesigen Händen und einem orangen Turban am Kopf, tauscht sie für uns noch aus. Am Abend sind wir bei einer Sikh-Familie zum Essen eingeladen. Mit Amrit, selbst ein begeisterter Camper, welcher einen gut ausgebauten Bus besitzt, fahren wir durch die Stadt. Bei einem Parkplatz lässt er von einem Boten Bierdosen kaufen, welcher uns gegen etwas Trinkgeld einen schwarzen Plastiksack ins Auto reicht. Unser Freund erklärt uns, dass es in Indien neuste Mode ist, am Parkplatz im Auto zu trinken. Wir fahren los und während er uns seine Stadt zeigt, trinkt er genüsslich einen Liter Bier. An manchen Kreuzungen sagt er uns, wir sollen die Dosen kurz verstecken, weil das die Polizei nicht so mag. Wir sind froh, als wir wieder in seinem Haus bei einem gut gedeckten Tisch voller Leckereien ankommen.
Am nächsten Tag essen wir zum Abschluss nochmal Amritsari Kulcha, das ist ein mit Kartoffeln und Karfiol gefülltes Naan-Brot, welches im Steinofen gebacken und mit Kichererbseneintopf serviert wird. Dazu gibt es den typischen Chai, ein Gewürztee mit Ingwer, Milch und viel Zucker. Indisches Essen wird uns fehlen!
Danach machen wir uns am Weg zur Wagha Grenze, über die wir vor über 9 Monaten nach Indien eingereist sind. Der Grenzübergang verläuft gänzlich unkompliziert und wir fahren wieder durch das leere Stadium, diesmal in Richtung Pakistan. Wir schauen noch einmal nach Indien zurück und sind dankbar für alle Erfahrungen, die wir in dem dreiviertel Jahr machen durften.

Etappe 14
von der nepalesischen Grenze zurück zur pakistanischen Grenze: 2500km

Comments